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Tagesimpuls am 15.03.2022

Soldat
Datum:
Veröffentlicht: 15.3.22
Von:
Ralph Olbrich

Longinus

Wenn Sie den vielleicht etwas ungewöhnlichen Namen „Longinus“ tragen – dann gratuliere ich Ihnen heute herzlich zum Namenstag! Der Heilige Longinus passt gut in die vorösterliche Zeit, denn er ist derjenige römische Soldat, der Jesus bei dessen Kreuzestod die Lanze in die Seite gestochen hat, aus der dann Wasser und Blut liefen. Er war es auch, der nach dem Tod Jesu bezeugte: Wahrhaftig, dieser Mann war Gottes Sohn! Den Namen Longinus hat der römische Hauptmann erst in späteren Überlieferungen bekommen; es wird erzählt, dass sich Longinus mit diesem Bekenntnis zum Christentum bekehrt und später gar das Martyrium erlitten hat. Es existiert die Legende, dass Longinus blind war und durch einen Spritzer des Blutes Jesu, der ihn am Auge traf, wieder sehen konnte. Man wohl aber davon ausgehen, dass man in der römischen Armee als blinder Mensch kaum Karriere machen konnte. Dennoch finde ich den Kern dieser Botschaft beachtlich, wenn wir diese Legende in ihrer Symbolkraft, in einem übertragenen Sinne verstehen: vielleicht war Hauptmann Longinus „wie blind“, wie mit Blindheit geschlagen oder er hat den Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen, bis er Augenzeuge des Todes Jesu wurde. Vielleicht hat ihm dieses Ereignis in einem übertragenen Sinne die Augen geöffnet, hat er verstanden, dass er Zeuge, ja sogar Teil einer weltbewegenden Geschichte geworden ist. Was hat Longinus vermutlich alles in der Armee erlebt? Soldatenalltag in einem Land, in dem er und seine Soldatenkollegen als Feinde gesehen und immer wieder in Aufständen bekämpft wurden. Die Zeit war blutrünstig: Kreuzigungen, Todesstrafen, Willkür und Ausbeutung der Einheimischen; das Ausführen von Befehlen, die zur Unterdrückung dienten, um das stolze Volk der Israeliten zu brechen. Waffen, Gewalt, rauhe Sitten… das dürfte das Leben von Longinus gewesen sein. Hat ihm die Begegnung mit Jesus, der für das komplette Gegenteil dessen stand, wofür Longinus eingetreten ist, am Ende die Augen geöffnet? Dass der zum Tode Verurteilte in einem seiner letzten Atemzüge noch die Größe besaß und um die Vergebung der Sünden seiner Folterknechte betete? Vielleicht war es auch eine Hinrichtung zu viel für den Hauptmann und er hatte dieses Leben nun endgültig satt. Wie so viele, die sich dem frühen Christentum in den Geschehnissen nach Ostern anschlossen: hier stand eine Religion im Aufbruch, die sich abkehrte vom blutigen Alltag der Kreuzigungen, der Gladiatorenkämpfe und der Hinrichtungen zur Belustigung des Volkes sondern die für Frieden stand, für Vergebung und Nächstenliebe. Ob die Existenz von Longinus nun historische Wahrheit oder Legende ist, eines sagt uns die Geschichte doch: der Blick auf den Tod und die Auferstehung Jesu kann unsere Blickrichtung verändern und uns so manches Mal die Augen für das Wesentliche öffnen.