Osterpredigt von Pfarrer Albert Müller
ER hat unsere Nacht der Ohnmacht beendet und das Licht des Lebens angezündet
In den letzten Tagen und Wochen habe ich sehr oft im Ge-spräch tiefe Betroffenheit, Traurigkeit und eine gewisse Ohnmacht herausgehört, über diesen grausamen Krieg in der Ukraine, über die Gewaltbereitschaft und Skrupellosigkeit und den Größenwahn eines Präsidenten Putin, dem seine Machtinteressen und sein Geltungsdrang wichtiger sind als die Unversehrtheit des Lebens tausender Menschen, der Menschen in der Ukraine wie auch seiner Landsleute, die als Soldaten für ihn sterben müssen!
Ich habe in den letzten zwei Jahren erlebt, wie Freunde und Nachbarn, ja auch Familienmitglieder sich zerstreiten und entzweien, wie auch Mitbürger unseres Landes sich feindse-lig und aggressiv gegenüberstehen, weil sie völlig unter-schiedliche Ansichten zur Corona-Pandemie haben. Ganz zu schweigen von denen, die das alles leugnen und als Ver-schwörung entlarvt sehen. In diesen zwei Jahren ist viel zer-brochen und verloren gegangen!
Es gibt eine neue Regierung, aber die Herausforderungen des Klimawandels, der Überlebensfähigkeit von Menschen und Schöpfung bleiben die alten! Und neben den großen Tragödien auf der Weltbühne kennen wir alle die vielen klei-nen Tode und Enttäuschungen in unserem Privatleben, wie auch den Verlust von Menschen, die wir vor nicht allzu lan-ger Zeit verloren haben: Trauer wohnt in unserem Herzen!
Und gerade hier, wo der Glaube uns trösten und unsere Seele heilen sollte, sehen wir unsere Glaubensgemeinschaft, die Kirche, am Bröckeln und auseinanderfallen. Sie verliert an Glaubwürdigkeit und Vertrauen durch eigenes Verschul-den, durch persönliches Fehlverhalten einiger ihrer Geistli-chen und kirchlichen Mitarbeiter, durch einen Mangel an der Fähigkeit, zu einer glaubwürdigen Aufarbeitung beizutragen und auch durch ein fehlgeleitetes Festhalten an selbst ge-machten Problemen!
Können wir angesichts solcher Katastrophen und Tragödien unbeschwert Ostern feiern? Ein eindeutiges JA! Zunächst ist ja Ostern nichts anderes als eine einzige Katastrophe und Tragödie: die ganzen Hoffnungen und alles Vertrauen so vie-ler Menschen sind mit Jesus am Kreuz gestorben, alles ist vorbei! Was bleibt, ist ein Gefühl von Ohnmacht!
Das Evangelium erzählte uns von den Ereignissen am Mor-gen zwei Tage nach der Hinrichtung Jesu. Der erste Teil des Berichtes beschreibt die Ohnmacht der Personen, die Jesus nahe standen. Der Sabbat hinderte sie, das zu tun, was man einem geliebten Verstorbenen noch angedeihen lassen kann. Die Frauen gehen in aller Frühe zum Grab, um durch wohl-riechende Öle und Salben dem Leichnam des Hingerichteten die menschliche Würde zurückzugeben.
Der Stein, der das Grab verschließt, und den zu bewegen sich die Frauen zu schwach fühlen, wird zur Verkörperung der Ohnmacht der Anhänger Jesu nach dessen Tod und zum Symbol menschlicher Ohnmacht gegenüber dem Tod, bzw. gegenüber der Tatsache des Sterbens.
Ganz anders der zweite Teil der Erzählung. Zur Überra-schung aller Beteiligten kommt alles ganz anders: Der Stein ist weggewälzt. Statt des Leichnams finden sie zwei junge Männer, Engelsgestalten aus einer anderen Welt. Diese er-klären, Jesus sei auferstanden. Sie schicken die verwirrten Frauen zu den Jüngern zurück. Es wird noch eine Zeitlang brauchen, bis sie begreifen, dass Gott selbst eingegriffen und seinen geliebten Sohn nicht dem Tod überlassen hat. Es wir noch eine Zeitlang brauchen, bis sie all das in Ihr Denken einordnen können und begreifen werden, dass von nun an das ganze Leben unter neuen Vorzeichen gesehen werden kann.
Mit diesem Ereignis ändern sich auch unsere Lebensbedin-gungen: Die Gefühle der Ohnmacht weichen dem Vertrauen, Hoffnung überwindet die Aussichtslosigkeit und Freude ver-drängt die Traurigkeit. Wir machen zwar nach wie vor die gleichen Erfahrungen. Wir sind zwar nach wie vor von der Unberechenbarkeit der Natur bedroht. Wir können uns nach wie vor nicht restlos gegen alle Unwägbarkeiten des Lebens absichern. Wir müssen nach wie vor mit Krankheiten und mit der Gewissheit des Sterbens leben. Wir sind nach wie vor dem Leid und der Not ausgesetzt, welches Menschen über Menschen bringen. Und der Krieg in der Ukraine wird an Os-tern nicht aufgehört haben!
Wir vertrauen aber darauf, dass Gott uns durch all diese Be-drohungen führt, wie er Jesus durch den Tod hindurch zur Auferstehung geführt hat. Wie er einst sein Volk mitten durchs Meer und durch die Wüste geführt hat. Und wir hof-fen darauf, dass seine Liebe und Schöpferkraft nicht dort aufhören, wo unser Leben am Ende ist.
Durch die Taufe sind wir Glieder des Leibes Christi gewor-den. Mit ihm sind wir durch den Tod hindurchgegangen. Er hat für uns den Tod überwunden. An ihm erkennen wir die Macht und Entschlossenheit Gottes, auch uns am neuen und ewigen Leben teilhaben zu lassen. Wir werden dieses Jahr nicht unbeschwert Ostern feiern, aber wir werden es feiern! Die Israeliten, die in Ägypten aus der Knechtschaft aufge-brochen sind, hatten sicher noch Schwielen an den Händen. Aber sie sind aufgebrochen. Der auferstandene Herr hatte noch die Wundmale an den Händen und Füßen und an sei-ner Seite, aber er war lebendig! Wir Menschen sind gezeich-net vom Leben dieser Welt! Aber wir sind auch gezeichnet vom Ewigen Leben Gottes durch unsere Taufe im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Da-rum stimmen wir in dieser Nacht in das Alleluja der ganzen Schöpfung ein, denn ER hat unsere Nacht der Ohnmacht beendet und das Licht des Lebens angezündet!