Tagesimpuls am 1. Fastensonntag
Achtsam sein
Jetzt hat sie also begonnen. Die Fastenzeit. Für viele Menschen eine Zeit, besonders achtsam zu sein – egal auf welche Art und Weise. Auf den Süßigkeiten-Verzehr achten, auf den Medien-Konsum achten, aufs Klima achten, auf Ruhepausen achten… Die Bandbreite ist riesig. Eines ist aber, so glaube ich, allen gemeinsam: Sie sehnen sich nach einem guten Leben und überlegen, was es dazu vor allem braucht.
Von Meister Eckhart, dem Mystiker im späten Mittelalter, stammt der folgende Vorschlag: „Die ein gutes Leben beginnen wollen, sollen es machen wie einer, der einen Kreis zieht. Hat er den Mittelpunkt des Kreises richtig angesetzt und steht der fest, so wird die Kreislinie gut.“
Irgendwie beeindruckt mich dieses Statement. Das sooo alt ist, aber einfach auch sooo genial.
Ich erinnere mich: Im großen Schreibtisch von meinem Papa – im ersten Schubber rechts hinten… da lag was ganz besonderes. Ein schwarzes Etui. Von außen schon recht abgeschrammt – von innen aber mit blauem Samt überzogen und echt edel. Und darin lag es, das faszinierende Instrument: Der Zirkel. Ich hab ihn ein mal entdeckt und seitdem war ich total begeistert von dem Ding. Es war von nun an kein Papier mehr vor mir sicher. Auf fast jeder Zeitungsseite war ein kleines Loch und ein Kreis… oder gleich mehrere Kreise, die am Ende ein Mandala ergaben – „Do it yourself“ halt. Mich hat er einfach fasziniert, dieser Zirkel.
Von dem festen Punkt aus, an dem man die Nadel ansetzt, kann man die Größe des Kreises einstellen. Je weiter man die beiden Stäbe des Zirkels auseinanderzieht, umso größer wird der Radius, die Reichweite. Dass es wirklich ein Kreis wird, hängt natürlich davon ab, wie fest die Nadel den Mittelpunkt fixiert.
Mittelpunkt und Reichweite bestimmen auch das menschliche Tun. Wie weit es reicht, ist eine Frage des Talents und des Willens, sich durchzusetzen. Beides können wir kaum beeinflussen, es sind Gegebenheiten, die wir so vorfinden und nur in einem begrenzten Maß verändern können. Aber: den Mittelpunkt unseres Lebens, den können wir selbst bestimmen. Den Punkt, von dem aus wir unsere Kreise ziehen.
Nach dem, was unser Mittelpunkt ist, bestimmt sich unser Leben. Ist es die Gesundheit, dann dreht sich alles um die Gesundheit; anderes wird nebensächlich. Das kann im Extremfall so weit gehen, dass man vor lauter Sorge um die Gesundheit krank wird.
Ist der Mittelpunkt unseres Lebens das Geld, wird sich alles um Geld drehen.
Ist es die Politik, dreht sich alles um die Politik.
Ist es die Familie, kreist alles um die Familie.
Bin ich mir selbst der Mittepunkt des Lebens, dreht sich alles um mich selbst. Andere Menschen werden schnell zu Instrumenten meiner Selbstverwirklichung.
Klar, an einigen dieser Umdrehungen kommen wir nicht vorbei. Sie sind sogar fast unentbehrlich. Aber: als Mittelpunkt für meinen Lebenskreis taugen sie nicht. Dafür sind sie zu unbeständig. Eine Krise wie die Corona-Krise kann sie aushebeln. Drum will ich dem Vorschlag des Mystikers Meister Eckhart folgen. Vollständig heißt der nämlich:
„Die ein gutes Leben beginnen wollen, sollen es machen wie einer, der einen Kreis zieht. Hat er den Mittelpunkt des Kreises richtig angesetzt und steht der fest, so wird die Kreislinie gut. Das soll heißen: Der Mensch lerne zuerst, dass sein Herz festbleibe in Gott, so wird er auch beständig werden in all seinen Werken.“