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Tagesimpuls am 19. Mai 2021

19.05.2021
Datum:
Veröffentlicht: 19.5.21
Von:
Stefanie Baier
„Der Schwächste fliegt – und tschüss“

„Der Schwächste fliegt – und tschüss“

– so verabschiedete Anfang der 2000er Jahre eine betont feindselige und harte Moderatorin die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der gleichnamigen Quizshow, wenn sie nach zu vielen Fehlantworten die Quizrunde verlassen mussten. Der schwächste fliegt – das steht irgend-wie für ein verkorkstes Verständnis, das sich durch manche Teile unserer Gesellschaft zieht, in dem man nahezu vom ersten Atemzug an der Leistung gemes-sen wird: Kinder im Säuglingsalter werden daran gemessen, wer eher krabbeln oder sprechen kann als der andere – schafft das Baby es nicht, dann werden gesunde Kin-der zum Physiotherapeuten geschickt. Grundschulkinder werden mit viel Aufwand und teilweise mit Nachhilfestunden auf weiterführende Schulen getrimmt. Dort sollte man schon immer etwas besser sein als die anderen, der Schulabschluss zügig er-reicht und dann noch zügiger ein Masterstudium mit Bestnote absolviert werden. Keine Angriffsfläche zeigen, keine Reibungsfläche bieten, angepasst mit dem Strom schwimmen und im Ernstfall die anderen schnell hinter sich lassen – „der Schwächste fliegt – und Tschüss!“ Leider zeigen immer mehr Menschen dann im Erwachsenenal-ter tatsächlich Schwächen: der ständige Druck, vorne dabei sein zu müssen und in allem nur Stärke zu zeigen fordert dann Tribut, wenn die Burnouts und die Depressionserkrankungen einsetzen, die mittlerweile als Zivilisationskrankheit anerkannt sind und seit Jahren zahlenmäßig am Steigen sind. „Der Schwächste fliegt – und Tschüss…“

Eine der Gnadengaben des Heiligen Geistes ist die Gabe der Stärke. Und damit ist nicht die körperliche Stärke gemeint oder die „ein Junge weint nicht“-Stärke sondern die Stärke, sich dem „Mainstream“ auch einmal entgegenzustellen, nicht alles mitzumachen, was gerade Mode ist, was die Gesellschaft verlangt, ja abverlangt und erwartet. Der Geist der Stärke soll uns nicht darin befeuern, anderen ihre Schwächen aufzuzeigen – er hilft uns zu erkennen, dass es gerade eine Stärke sein kann, sich einer Schwäche zu stellen; sich einzugestehen, dass man nicht immer der Champion sein muss. Der Geist der Stärke soll uns dabei helfen, Kraft zu sammeln und dabei aufmerksam dafür zu sein, was genau mir die Kraft gibt – zur Ruhe kommen, auch mal mit etwas zufrieden zu sein und Kraft dafür zu finden, nicht stark sein zu müssen. Dann erkennt man auch seine wahren Stärken, auf die man sich verlassen kann. Das können außer einer guten Auffassungsgabe oder einer ausgeprägten Sportlichkeit auch „Werte“ sein wie Einfühlungsvermögen, Mitleid zeigen, Ungerechtigkeiten wahrnehmen und benennen zu können oder Menschen beizustehen, die gerade an die Grenzen ihrer Kräfte stoßen. Das sind vielleicht sogar die wahrhaft starken Men-schen.

Dipl.-Theol. Ralph Olbrich