Tagesimpuls am Palmsonntag
„Macht hoch die Tür, die Tor macht weit – es kommt der Herr der Herrlichkeit!“
Diese erste Zeile des Liedes, das wir in den Kirchen und Gottesdiensten so häufig in der Adventszeit singen, passt meiner Ansicht nach auch für den heutigen Tag: Es ist Palmsonntag.
Der Palmsonntag ist sozusagen das Tor zur Karwoche, die vor uns liegt. Und was für ein Eingang uns da bereitet! Vor allem, wenn wir auf das Geschehen in den Gottesdiensten schauen. Da hat wie in einer Art „Vorschau“ all das seinen Platz, was im Lauf der Karwoche dann durchbuchstabiert wird. Ganz unterschiedliche Emotionen und Gefühle finden hier ihren Raum.
Da ist zunächst der Einzug Jesu in die Hauptstadt Jerusalem. Es ist eine Szene der Freude und des Jubels. Jesus zieht als Friedenskönig auf einem Esel in die Stadt ein – nicht als Kriegsheld auf einem hohen Ross. Die Menschen breiten ihre Kleider auf den Straßen aus – ein „roter Teppich“ der Extraklasse! Und sie jubeln, was das Zeug hält. Sie singen Freudenlieder: „Hosianna dem Sohn Davids!“
Doch die Stimmung kippt. Im Laufe der Karwoche und auch schon am Palmsonntag selbst. Ganz besonders wird das auch deutlich, wenn wir den Gottesdienst anschauen, wie wir ihn heute vielerorts traditionell feiern. Da wird nach einem festlichen Auftakt und Jubelliedern die Passion wird vorgelesen, die Leidensgeschichte Jesu. – ohne einleitende und abschließende Worte, ohne Predigt, schlicht und einfach die „Leidensgeschichte unseres Herrn Jesus Christus“. Die Worte der Passion – sie reichen völlig aus. Da braucht es keine Predigt mehr, eigentlich auch keinen Impuls.
Und wieder einmal zeigt sich: Freud und Leid – sie liegen so nah beieinander!
Wenn wir die Passionsgeschichte Jesu hören, dann hören wir vielleicht auch die vielen Passionsgeschichten der heutigen Welt mit. Nicht zuletzt auch unsere eigene Passionsgeschichte.
Wenn ich in diesem Jahr die Passion höre, verbinde ich persönlich mich mit den vielen Menschen, die an schweren Krankheiten leiden und die schon an ihnen verzweifelt und verstorben sind.
Ich verbinde mich mit den vielen Menschen, die helfen. Den stillen Helden in den Krankenhäusern, Pflegeheimen und in all den anderen „systemrelevanten“ Berufen. Und frage mich zugleich: welcher Mensch ist eigentlich nicht systemrelevant? Wir alle sind doch wichtig fürs System namens „Leben“, keiner darf verlorengehen.
Ich verbinde mich aber auch mit den vielen anderen leidenden Menschen, die über die letzten beiden Jahre in der Coronakrise schnell in Vergessenheit geraten sind, besonders mit den Menschen an den Außengrenzen Europas.
Ich verbinde mich mit den vielen Menschen, die einsam sind, die sich nach menschlichem Kontakt und nach Berührung sehnen, die sich danach sehnen, dass jemand sie in den Arm nimmt.
Und du? Mit wem verbindest du dich?
In all diesen menschlichen Passionsgeschichten macht sich mir Jesus bemerkbar. Jesus, den wir heute als Friedenskönig feiern, bejubeln und willkommen heißen. In unserem ganz eigenem Jerusalem, mit unserem eigenen „roten Teppich“. Jesus, der Freud und Leid mit uns teilt. Drum: Macht hoch die Tür, die Tor macht weit!
Mit diesen Gedanken möchte ich Euch allen eine berührende Heilige Woche wünschen!