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Tagesimpuls am Palmsonntag

Palmsonntag
Datum:
Veröffentlicht: 28.3.21
Von:
Ralph Olbrich
Zwischen "Hosianna!" und "Kreuzige ihn!"

Der Inhalt des heutigen Palmsonntags hat sich längst auch in unserem alltäglichen Sprachgebrauch verankert: Die Formulierung „Zwischen ,Hosianna‘ und ,Kreuzige ihn‘“ kann man in Kommentaren über gestürzte Politiker in der Zeitung genauso lesen wie in der Sportschau über ehemals erfolgreiche Trainer hören, die nach einer erfolgreichen Zeit in einer Vereinskrise gefeuert werden. Überall dort, wo in Krisenzeiten ein Mensch auftritt, der von der Menge enthu-siastisch in einen Erlöser-, ja „Messiasstatus“ erhoben wird, muss dem Auftre-tenden eigentlich schon klar sein: die gleiche Menge kann nächste Woche schon meine zumindest virtuelle oder im übertragenen Sinne durchgeführte Kreuzi-gung fordern. Karl-Theodor zu Guttenberg? Margot Kässmann? Jullian Assan-ge? Mesut Özil? Die Reihe der Fallengelassenen ist endlos.

Das Geschehen der Karwoche, die heute beginnt, scheint also die Menschen durch die Jahrtausende sehr zu berühren. Weil in dieser Woche vor Ostern eine tiefe menschliche Erfahrung steckt. Und es bleibt wohl trotz aller Erklärbarkeit von Fakten irgendwo ein Hauch von Unverständnis darüber, was passiert, dass Menschen sich so radikal wandeln können, manchmal innerhalb kürzester Zeit, dass sie Gutes vergessen und fehlerhaftes Handeln so überhöhen, dass sie im wahrsten Sinne des Wortes den Kopf des einstmals so geliebten fordern.

Und jetzt tauchen wir noch einmal tiefer in diesen Gedanken ein und fragen: sind es denn tatsächlich dieselben Menschen, die erst Hosianna und dann „Kreuzige ihn“ schreien oder schreien einfach nur die lauter, die Blut sehen wollen? Haben die Hosianna-Rufer vielleicht schon viel mehr von Jesu Botschaft der Gewaltlosigkeit und der Nächstenliebe verstanden als diejenigen, die seinen Tod fordern? Wer schreit lauter? Die Anhänger Jesu, die für Nächstenliebe, Zuwendung und Frieden stehen? Oder die politisch enttäuschten? Die Angst haben vor Veränderung? Die Frustrierten? Die vermeintlich Benachteiligten? Schreien am Ende doch die lauter, die Angst haben, Macht und Einfluss zu verlieren? Zusammen mit ein paar Wendehälsen, die ihre Fahne nach dem Wind drehen? Es ist doch erstaunlich, wie viel der Palmsonntag mit dem heutigen Leben zu tun hat, oder?